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Erfahrungsbericht
vom 29.04.2015
Verständnis ist die Basis für Verbesserung
„Weil
es eben so ist."
Wie oft hat mich der Satz „Weil es
eben so ist“ im Laufe meiner Kindheit an einer generellen Logik von Natur und
Mensch zweifeln lassen! „Warum bekomme ich einen
Schnupfen, wenn ich kalte Füße habe?“ „Weil es
eben so ist – und jetzt komm!“ Das kann nicht die
ganze Wahrheit sein, das wusste ich schon als Kind. Die verschweigen mir doch
was – wie gemein! Heute weiß ich es genau: „Weil
es eben so ist“ ist weder eine passende noch
eine kluge Antwort auf irgend etwas.
„Hör
mir auf mit diesem Lean!“
Auf unserem jährlichen Stadtfest kam
ich heuer mit dem Inhaber des größten ortsansässigen mittelständigen
Betriebes ins Gespräch. Herr Schmidt (so nenne ich ihn für meinen Bericht) - er kennt mich schon seit meiner Kindheit - fragte
mich, was aus mir geworden sei. Bereitwillig erklärte ich ihm meinen Werdegang
als Lean Consultant und bekam zur Antwort „Hör mir auf mit diesem Lean!“ Diese abgeneigte Haltung machte
mich neugierig und weil ich Herrn Schmidt als offenen und freundlichen Menschen
kenne, traute ich mich, vorsichtig nachzubohren.
„Man
könne das schlank integrieren, hat er gemeint."
„Ich war auf dieser Messe und weil ich
zwar gut da stehe aber trotzdem immer offen für etwas Neues bin, habe ich mich
dort mit diesem Berater unterhalten. Ich habe ihm erzählt, dass ich demnächst
eine große Sache plane, nämlich eine neue Beschichtungsanlage für unsere Teile.
Damit sparen wir uns Transport und Kosten für die externe Beschichtung. Der
Berater fand die Idee toll und erklärte, er wolle sich mit der
Integration des Beschichtungsprozesses in meinen Betrieb gerne mal näher befassen – man könne das schlank integrieren,
hat er gemeint.“ An dieser Stelle habe ich mir gewünscht, Herr Schmidt wäre mir zuerst begegnet. Ich kenne den
Betrieb ja noch aus meiner Jugend. Ich habe ihn quasi wachsen
gesehen und hätte dort nur zu gerne
hinter die Kulissen geschaut und mein eigenes Know-how mit eingebracht.
„Meine Kunden würden zu lange warten!“
„Weil ich, wie gesagt, zwar gut da
stehe, aber immer offen bin
für frische Ideen, haben wir einen Termin vereinbart. Er kam in meinen
Betrieb und hat sich alles angesehen, hat jede Menge Daten aufgeschrieben, hat
viele Fragen gestellt. War eigentlich ein ganz netter, hat sich auch in allen
einzelnen Bereichen und Teams umgesehen“, erzählt Herr Schmidt weiter. „Nach
einer Woche hat er mir dann seine Ergebnisse per E-Mail geschickt. Er hat mir
so einen Analysebericht geschrieben in dem stand, ich hätte kilometerlange
Transportwege, keine Struktur in
meiner Kommunikation – was immer das
heißen soll –, zu hohe Bestände und...“ Herr Schmidt hob den Finger und wurde
leicht rot im Gesicht „...meine Kunden würden
zu lange auf die Lieferungen warten!“
„So
lasse ich mich nicht hinstellen.“
Er fuhr fort: „Weiter hieß es in dem
Bericht, erst wenn ich alle Verschwendungen
in meiner Fertigung beseitigen würde, könne ich die Beschichtung integrieren
und mir damit den Bau einer zusätzlichen Halle
sparen.“ Der Ablauf dieses Auftrages hat auch mich ziemlich erschüttert, zwar
nicht aus genau dem selben Grund wie Herrn Schmidt, aber ich konnte seine
Enttäuschung teilen und ich verstand auch seine
Sichtweise. „Weißt du, nichts gegen deine Lean-Sache. Das mag ja prinzipiell
gut gemeint sein mit dem Vermeiden von Verschwendungen und so. Ich finde auch die
Idee gut, dass ich die Beschichtung direkt an die Fertigung anschließen soll. Aber
als unorganisierten Unternehmer, der nicht genug mit seinen Teams kommuniziert
und seine Kunden nicht zufrieden stellen kann,
brauche ich mich nicht hinstellen zu lassen.“
Sie
bekamen nicht die Möglichkeit zu verstehen
Ich hatte schon verstanden. Herr
Schmidt wurde mit der plumpen Vorlage des Analyseberichtes als
gestandener, erfolgreicher Unternehmer mit einem äußerst ungeschickten
„Weil es eben so ist“ konfrontiert. Weder er noch
seine Mitarbeiter wurden in die Analysearbeit mit einbezogen. So konnte
keiner
verstehen, was „Verschwendung“ bedeutet und welches Potential darin
liegt, Verschwendung im
Betrieb zu identifizieren und tagtäglich an ihrer Reduzierung und
Vermeidung zu
arbeiten. Obwohl Herr Schmidt als oberste Führungsebene Interesse und
Bereitschaft zur schlanken Optimierung zeigte, hat der
Unternehmensberater ihn
unvorbereitet vor vollendete Tatsachen gestellt. Es war
äußerst unbeholfen, die Menschen, die tagtäglich im Betrieb arbeiten,
ihr Know-how einbringen und die Abläufe aus dem Effeff kennen, nicht
darin zu
unterrichten, wie man Verschwendungen erkennt. Es
war auch unumsichtig, die Ergebnisse ohne persönliche Erklärung, ohne
die
Möglichkeit, die Reaktionen auffangen zu können,
dort abzuliefern.
Die
zweite Chance
Wie gut, dass Herr Schmidt so ein
freundlicher, offener Mensch ist. So konnte ich ihm erklären, was ich an der
Arbeit des besagten Experten schlecht finde und dass ich verstehe, dass er sich
beleidigt fühlt. Ich bot an, ihm den Lean-Gedanken und das Potential der schlanken Produktion
bei einem gemeinsamen Treffen näher zu bringen. Er willigte ein und ich freute
mich sehr darauf, seinen Betrieb, den ich schon so lange kenne, bald genauer
unter die Lupe nehmen zu dürfen, dessen Möglichkeiten zu entdecken und ein Teil
seines Fortschrittes zu werden. Darauf stießen wir an.